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Interview

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Hier sind die Unternehmen bei Beschäf-

tigungs- und Investitionsentscheidun-

gen zurückhaltender als anderswo. Die

Ursachen dafür können vielfältig sein.

Zum Beispiel eine aus Unternehmer-

sicht langfristig unsichere politische

Situation oder auch die Hürden der

Bürokratie, welche trotz „Bürokratie-

entlastungsgesetz“ immer noch sehr

komplex ist, insbesondere für kleine

und mittelständische Unternehmen. Wir

haben daher gegenüber der Politik un-

sere Forderung eindeutig formuliert, oh-

ne Ausnahme jedes neue Gesetz auf

den Prüfstand zu stellen. Vorgesehen ist

nun, eine Folgeabschätzung noch wäh-

rend der Entstehung des ersten Gesetz-

entwurfs vorzunehmen – mit Beteili-

gung der Kammern. Aus unserer Sicht

ein guter Schritt!

Aber auch wenn die Firmen optimistisch

auf das Jahr 2016 blicken, sehen wir hö-

here Risiken für einen dauerhaften Auf-

schwung. Geopolitische Krisen, Turbu-

lenzen an den Finanzmärkten und

negative Konjunkturmeldungen in

wichtigen Ländern wie China, Russland

oder Brasilien können sich allzu schnell

auf die regionale Konjunktur auswirken.

Gerade seitens der Politik ist es deshalb

jetzt wichtig, zusätzliche Impulse zu

setzen. Wir fordern, die höheren Steuer-

einnahmen der letzten Jahre verstärkt

für Investitionen in die Rahmenbe-

dingungen des Wirtschaftsstandortes

Deutschland zu nutzen. Das würde die

Wettbewerbsfähigkeit der Unterneh-

men nachhaltig sichern helfen.

Wo liegen nach Ihrer Auffassung die

Stärken der Ostthüringer Wirtschaft?

Die Ostthüringer Wirtschaft ist zwar im-

mer noch vergleichsweise sehr kleintei-

lig, dafür aber flexibel und breit aufge-

stellt. Die Unternehmensgrößen

ermöglichen ein schnelles Reagieren

auf Anforderungen des Marktes und vie-

le Firmen überzeugen mit innovativen

Produkten, oft in Nischen als Markt-

führer mit hoher Wertschöpfung. Bestes

Beispiel – der jüngst vergebene IQ In-

novationspreis Mitteldeutschland, mit-

getragen von unserer IHK. Hier haben

wir wieder zwei tolle Preisträger aus

Ostthüringen, diesmal aus dem Bereich

Informationstechnologie die Firma

JENETRIC GmbH und aus dem Bereich

Life Sciences das Universitätsklinikum

Jena.

Außerdem unterstützen wir die Unter-

nehmen einerseits dabei, in der eigenen

Region bekannter zu werden, anderer-

seits in internationalen Märkten Fuß zu

fassen.

„Wo Licht ist, ist auch Schatten“ – um

den in Thüringen unvermeidlichen

Goethe zu zitieren. Wo hat die Wirt-

schaft der Region noch Nachhol-

bedarf?

Unsere mittelständische Struktur in

Ostthüringen bedeutet auch, dass Fir-

men zu häufig noch zu abhängig sind

als Zulieferer oder zu klein für die ei-

gene internationale Vermarktung ihrer

Produkte und auch zu klein für wettbe-

werbsfähige Forschung und Entwick-

lung. Unsere Firmen brauchen mehr ei-

gene Wertschöpfung für innovative

Produkte, schnelle Marktreife, um

Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Aus

unserer Sicht kann der Thüringer Mittel-

stand auf dem Markt besser mithalten,

wenn sich industrienahe Forschung und

Wirtschaft stärker vernetzen und koope-

rieren. Deshalb setzen wir uns ein für ei-

ne künftig enge und bedarfsorientierte

Forschungskooperation der neuen

Dualen Hochschule Gera-Eisenach mit

unserer mittelständischen Industrie.

Wie schon mit der Berufsakademie för-

dern wir den engen Dialog mit der

Hochschule und unseren Mitglieds-

unternehmen für marktrelevante Zu-

kunftsprojekte.

Der Bedarf an gut qualifizierten Fach-

kräften bleibt weiterhin eine Heraus-

forderung, der sich die Unternehmen

durch Aus- und Weiterbildung stellen

müssen. Unser Angebot und unsere

Beratung helfen den Unternehmen da-

bei. Die zunehmende Digitalisierung der

Arbeitswelt erhöht einerseits insbeson-

dere die Anforderungen an die Qua-

lifikation der Mitarbeiter, auch der

Älteren. Andererseits ist dies auch eine

Chance mit Blick auf die demografische

Entwicklung.

Das betrifft ebenso die Firmennach-

folge. Viele Firmenchefs haben in der

Wendezeit gegründet, kommen jetzt ins

Rentenalter und finden aus den unter-

schiedlichsten Gründen schwer einen

Nachfolger. Hier raten wir rechtzeitig,

sich um die Nachfolgeregelung zu küm-

mern. Die IHK Ostthüringen hat bereits

viele Unternehmer in dieser Phase be-

raten und begleitet. Unsere Erfahrung

zeigt, dieser Prozess braucht Zeit.

Unternehmensberater reden ja gern

davon, dass man die Stärken stärken

soll und die Schwächen ausmerzen.

Wie kann das für die Ostthüringer

Wirtschaft geschehen?

Indem man ständig an der Verbesserung

der Rahmenbedingungen für die Unter-

nehmen arbeitet, den Unternehmen Luft

lässt, am Markt zu bestehen und auch zu

wachsen. Jede zusätzliche finanzielle

Belastung oder neue Regularie gehen

zu Lasten notwendiger Investitionen in

Forschung, Digitalisierung, neuer Märkte

und höherer Löhne. Beispielsweise die

restriktive Handhabung der Sonntags-

arbeit oder der Samstagsregelung im

Ladenöffnungsgesetz macht es am

Standort Thüringen im Vergleich zu an-

deren Bundesländern teurer und schwe-

rer, qualifizierte Arbeitsplätze zu schaf-

fen, Fachkräfte zu gewinnen und

langfristig zu halten. Dies haben wir der

Landesregierung nachdrücklich aufge-

zeigt.

Politik muss also überzeugender (mit

Taten statt Versprechen) zeigen, dass sie

die Arbeit des Unternehmers wert-

schätzt – sowohl der kleinen und mit-

telständischen als auch der großen

Unternehmen. Ein positives Unterneh-

merbild in der Gesellschaft schafft Ver-

trauen für Leben und Arbeiten, für

Karriere und Familie in Thüringen.

Außerdem sind zufriedene Unterneh-

mer zusätzliche Standortwerbung und

die glaubwürdigsten Botschafter für

Thüringen.

Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefen-

see, der ja gebürtiger Ostthüringer ist,